Alliance for Water Stewardship legitimiert illegale Besatzung
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Eine Organisation, die sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Süßwasser einsetzt, unterstützt das umstrittene französisch-marokkanische Agrarunternehmen Azura in der besetzten Westsahara.

01. August 2025
Bildunterschrift: AWS-Beitrag auf LinkedIn, 26. Juni 2024 [oder Download].

„Die Azura-Gruppe hat für ihre Gartenbaubetriebe in den Städten Agadir und Dakhla in Marokko die Zertifizierung der Alliance for Water Stewardship (AWS) erhalten. Der AWS-Standard zielt darauf ab, soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Vorteile auf Standort- und Einzugsgebietsebene zu fördern“, erklärte das französisch-marokkanische Agrarunternehmen Azura in einer Pressemitteilung im vergangenen Jahr.

Die in Schottland ansässige Alliance for Water Stewardship schrieb am 26. Juni 2024 auf LinkedIn: „Die Zertifizierung unterstreicht das Engagement von Azura für einen verantwortungsvollen Umgang mit Wasser und ist ein Schritt zur Bewältigung der wasserbezogenen Herausforderungen im Gartenbausektor in Marokko“.

Azura erhielt das Zertifikat, weil anscheinend festgestellt wurde, dass es die Anforderungen des AWS-Standards für die Standorte in Dakhla erfüllt. Das Zertifikat wurde im Mai 2024 ausgestellt, nachdem die prüfende Konformitätsbewertungsstelle - Water Stewardship Assurance Services (WSAS) - ein Audit durchgeführt hatte, das auch Besuche vor Ort in sechs der acht Farmen von Azura in Dakhla in der besetzten Westsahara umfasste (Siehe den ausführlichen Zertifizierungsbericht vom Mai 2024 [Download hier]).

Der AWS-Standard – Eigentum der Alliance for Water Stewardship (AWS) – ist ein Rahmenwerk, an dem sich Unternehmen, Farmen oder andere Wasserverbrauchende orientieren können, um verantwortungsvoll mit Wasser umzugehen. Es handelt sich um einen Standard, auf den Azura nun aktiv in der Vermarktung der umstrittenen Produktion in den besetzten Gebieten verweist.

Die Prüfer:innen des WSAS-Berichts scheinen jedoch nicht die geringste Ahnung zu haben, wo sie das Audit bei Azura durchgeführt haben.

  • Die Standortadresse von „Maraissa – Dakhla“ ist falsch. Unter „Standortdetails” wird angegeben, dass er sich in „Km 39 Route de Tiznit, Tin Mansour, Provinz Chtouka Ait Baha, MAROKKO” befindet. Das ist jedoch die Adresse des Standorts von Azura in Agadir in Marokko, nicht die der Anlage, in der die Vor-Ort-Besichtigung stattfand. Die registrierte Adresse liegt 1.200 Kilometer von dem inspizierten Standort entfernt.
     
  • Im Bericht heißt es: „Die Anlage befindet sich in der Region Sakia El Hamra”. Dies ist falsch. Die illegale administrative Aufteilung des besetzten Gebiets durch Marokko und dessen Eingliederung in das marokkanische Verwaltungssystem (Besatzungsmächte dürfen ein besetztes Gebiet nicht auf diese Weise behandeln) hat zur Folge, dass zwei Verwaltungsregionen die Westsahara abdecken: „Laayoune-Sakia El Hamra“ im Norden und „Dakhla-Oued Ed-Dahab“ im Süden. Die im Bericht erwähnte „Region Sakia El Hamra“ ist weder der Standort der Azura-Anlage in Dakhla noch der in Agadir. Es handelt sich um eine Region, die man auf dem Weg von der falschen Standortadresse zum tatsächlichen Standort durchfahren muss.
     
  • Die Anlage befindet sich im falschen Land. Der Standort Dakhla liegt nicht in Marokko, sondern auf dem Gebiet der Westsahara. Dieser Fehler zieht sich wie ein roter Faden durch alle Verweise von AWS auf die Azura-Anlage, einschließlich der Karte der weltweit zertifizierten Standorte [Download hier]. Dies hat weitreichende Konsequenzen, sowohl in politischer Hinsicht als auch in Bezug auf AWS und seine Prüfer:innen, die es wahrscheinlich versäumt haben, die komplexen Fragen der Rechtskonformität, des Völkerrechts und der Menschenrechte zu klären, die mit der Prüfung eines Betriebs auf illegal besetztem Land verbunden sind.

 

Azuras umstrittener Gemüseanbau

Die Produktion von Azura ist umstritten, da das Unternehmen mit marokkanischer Genehmigung in der besetzten Westsahara massenhaft Tomaten für den Export auf den internationalen Markt produziert.

Die Abkommen zwischen der EU und Marokko über das Gebiet der Westsahara und die Ausfuhren in den EU-Markt wurden zehnmal vom Europäischen Gerichtshof geprüft. In allen Fällen stellte das Gericht fest, dass die beiden Gebiete getrennt und unterschiedlich sind und dass die Abkommen die Zustimmung der Sahrauis erfordert. Das Gericht kam außerdem zu dem Schluss, dass diese Zustimmung nicht vorliegt. Einige der Urteile beziehen sich auf die marokkanische Agrarproduktion und den Export in die EU. Marokko hat 1979 das Gebiet Dakhla illegal besetzt, was von den Vereinten Nationen verurteilt wurde.

Der AWS-Zertifizierungsbericht für 2024 informiert korrekt, dass „Azura eine private französisch-marokkanische Familiengruppe ist, die 1988 gegründet wurde”. Der Bericht stellt jedoch zu keinem Zeitpunkt in Frage, wie eine französisch-marokkanische Familie das Recht haben kann, auf einem Stück Land, das weder zu Frankreich noch zu Marokko gehört, industrielle Landwirtschaft zu betreiben. Im Gegenteil, er enthält Aussagen wie „In mehr als 30 Jahren hat sich das Unternehmen mit 1 200 Hektar Anbaufläche in Marokko zu einem der führenden Produzenten von Kirschtomaten entwickelt”. Der Bericht ist eine faszinierende Lektüre, die tatsächlich Details über den landwirtschaftlichen Betrieb von Azura auf dem besetzten Gebiet offenlegt.

Es findet sich jedoch kein Hinweis auf den tatsächlichen Standort der Plantage, die sich auf dem Gebiet der Westsahara befindet. Er geht weder auf die zehn Urteile des EuGH ein noch berücksichtigt er deren Feststellungen. Im Gegenteil, der Prüfbericht stellt fest, dass Azura über ein System verfügt, das „den lokalen gesetzlichen Anforderungen und auch den Anforderungen für den Export nach Europa entspricht“. Es ist nicht bekannt, was Azura unternommen hat, um die Zustimmung der Sahrauis einzuholen und die Produkte gemäß der EU-Rechtsprechung zur Kennzeichnung von Produkten aus dem Gebiet korrekt zu etikettieren.

Der Ansatz der Prüfer:innen steht im Widerspruch zu den Anforderungen der Urteile des EuGH. Er behandelt die Produktion so, als hätte der marokkanische Staat ein Recht auf das Gebiet. Siehe beispielsweise diesen interessanten Abschnitt:

„Während des Auditprozesses wurde festgestellt, dass es weitaus mehr relevante Interessengruppen gibt als diejenigen, die als identifiziert angegeben wurden. Fehlende Interessengruppen: - ONEE: Office National de l'Electricité et de l'Eau (Nationales Amt für Elektrizität und Wasser – Abteilung Wasser) - CRI: Conseil Régional de l'Investissement (Regionaler Investitionsrat) - Ministère de l'équipement et de l'eau: Ministerium für Infrastruktur und Wasser - Regionaler Vertreter - Ministère de l'Intérieur: Innenministerium - Regionaler Vertreter - Ministère de la transition énergétique et du développement durable: Ministerium für Energiewende und nachhaltige Entwicklung - Regionaler Vertreter - Agence Nationale des Ports: Nationale Agentur für Seehäfen/zuständig für die Umsetzung des Hafenbaus von Dakhla”.

In Bezug auf das Wasser, das Azura derzeit nutzt, heißt es in dem Bericht, dass „die strategische Bewirtschaftung der Ressource von der Regierung geleitet wird” und dass der Standort „eine umfassende Darstellung der aktuellen Lage der Wasserbewirtschaftung in Marokko insgesamt, der wichtigsten Behörden und der Wassersituation im Land vorgelegt hat”. WSAS hat nicht beantwortet, warum sie der Ansicht ist, dass die marokkanische Regierung befugt ist, das Grundwasser des Westsahara-Gebiets zu nutzen, oder wie Marokko Azura solche Wassernutzungsgenehmigungen erteilen kann.

Die meisten der ursprünglichen Bewohner:innen Dakhlas flohen ins Ausland, nachdem mauretanische und später marokkanische Streitkräfte die Halbinsel 1975 bzw. 1979 besetzt hatten. Heute leben sie in Geflüchtetencamps in Algerien. Am 23. Juni 2025 veröffentlichten die in den Camps tätigen UN-Organisationen eine Pressemitteilung, in der sie auf den alarmierenden Anstieg schwerer Unterernährung hinwiesen. Unterdessen zeigen die Karten im WSAS-Prüfungsbericht, dass das Wasser des „Sahara-Aquifers“ nach wie vor unzureichend kartiert ist. Bemerkenswert ist, dass Teile der östlichen Grenze des Aquifers (wassergesättigte Zone eines Grundwasserleiters) eng an die über 2.000 km lange Landminenbarriere angrenzen, die Marokko in den 1980er Jahren errichtet hat. Angesichts der Tatsache, dass einige der ursprünglichen Bewohner Dakhlas weiterhin auf Weideland östlich dieser Sperre in nicht besetztem Gebiet angewiesen sind, fragte WSRW WSAS, welche Schutzmaßnahmen es gibt, um sicherzustellen, dass die Geflüchteten aus Dakhla nicht durch die Wasserbewirtschaftungsmaßnahmen Marokkos und Azuras auf ihrem Land ihrer lebenswichtigen Wasserressourcen beraubt werden, erhielt jedoch keine Antwort.

 

Dieselbe Familie

Die Verbindungen zwischen der Konformitätsbewertungsstelle Water Stewardship Assurance Services Ltd. (WSAS) und der Alliance for Water Stewardship (AWS) – der Stelle, die den AWS-Standard entwickelt hat – scheinen eng zu sein.

WSAS wurde aus AWS ausgegliedert, um speziell Audits nach dem AWS-System durchzuführen. WSRW fragte WSAS, inwiefern diese enge Beziehung die für eine solche Stelle erforderliche Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte, erhielt jedoch keine Antwort.

AWS und WSAS sind zwar rechtlich getrennte Einheiten, und auf der Website von WSAS wird darauf hingewiesen, dass der Vorstand „mehrheitlich unabhängig” ist. WSAS ist jedoch vollständig im Besitz von AWS. Letztere hat „erhebliche Kontrolle” über WSAS und das Recht, Direktor:innen zu ernennen oder abzuberufen. WSAS und AWS haben sich überschneidende Vorstände und ihren Sitz an derselben Adresse in Schottland. Es ist unklar, inwieweit AWS weiterhin die Leitung, Finanzierung oder Aufsicht über WSAS ausübt.

In den meisten Zertifizierungssystemen durch Dritte muss der Normgeber (in diesem Fall AWS) von der Zertifizierungs-/Auditstelle (in diesem Fall WSAS) sowie vom geprüften Unternehmen (in diesem Fall Azura) getrennt sein. Diese Trennung ist für die Glaubwürdigkeit, Transparenz und Neutralität unerlässlich und verhindert, dass der Norminhaber sowohl die Regeln festlegt als auch den Schiedsrichter kontrolliert.

Hätte Azura für diese Bewertung eine andere von AWS zugelassene Konformitätsbewertungsstelle – wie beispielsweise DNV – beauftragt, wäre der Antrag wahrscheinlich abgelehnt worden, da DNV grundsätzlich keine Audits in der Westsahara durchführt.

Azura ist nicht nur AWS-zertifiziert, sondern auch „Mitglied” der AWS (siehe Website [Download hier]). Diese Mitgliedschaft gewährt Azura das Recht, an Abstimmungen über die Überarbeitung des AWS-Standards sowie an der Nominierung und Wahl von Mitgliedern des AWS-Vorstands und des Technischen Ausschusses, die den Standard überwachen, teilzunehmen.

In ihrem Schreiben an den CEO von AWS, Adrian Sym, vom 6. Dezember 2024 fragte WSRW, welche Schritte AWS aufgrund der Bedenken von WSRW gegenüber Water Stewardship Assurance Services, der Azura-Gruppe und dem ausgestellten Zertifikat unternehmen werde. Dieses Schreiben wurde nie beantwortet. Der CEO von AWS, Adrian Sym, ist auch Vorstandsmitglied von WSAS. Am 1. Juli 2025 fragte WSRW Adrian Sym, ob außer ihm noch andere Vorstandsmitglieder von WSAS über das Schreiben von WSRW an den CEO von AWS, Adrian Sym, informiert worden seien. Die Frage wurde nicht beantwortet. Es ist nicht bekannt, ob das Schreiben von WSRW vom 6. Dezember 2024 an den technischen Ausschuss von AWS weitergeleitet wurde.

WSRW fragte WSAS-Vorstandsmitglied Sym, ob die Unternehmensleitung von der AWS-Führung – deren CEO Sym ist – hinsichtlich der Auslegung des Standards im Zusammenhang mit illegal besetztem Land angeleitet worden sei. Sym antwortete nicht auf diese Frage.

AWS ist im schottischen Wohltätigkeitsregister eingetragen und ihr Vorstand ist auf der Website der Organisation einsehbar. WSAS ist im britischen Unternehmensregister mit einem Vorstand bestehend aus Frank Brinkschneider, Lucy Frazer, Kathleen Shaver, Adrian Sym und Max Wiesendanger eingetragen.

In einer öffentlichen Vorankündigung wurde über das Vor-Ort-Audit von WSAS [Download hier] in dem besetzten Gebiet informiert. Ein separater Auditbericht über die Anlage von Azura in Agadir wurde 2024 veröffentlicht [Download hier].

WSRW schrieb am 6. Dezember 2024 an AWS und am 1. Juli 2025 an WSAS, hat jedoch bis jetzt keine Antwort erhalten.

WSRW schrieb am 2. Dezember 2024 an Azura bezüglich der Produktion in den besetzten Gebieten, ohne eine Antwort zu erhalten.


 

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